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Text for Symposium by Mr. Gustav Weiss ( German version)

Die europäische Keramik zwischen ostasiatischen und amerikanischen Einflüssen unter dem Blickwinkel der europäischen Vereinigung

Ich möchte Ihnen zunächst sagen, worum es in meinem Vortrag geht, denn es könnte sein, dass der rote Faden hinter den Formulierungen und Bildern nicht zum Ausdruck kommt.
Es geht also
1. um die Polarität der Auffassungen in der Keramik, wie sie sich zwischen Japan und den USA
zeigt,
2. um die Aufbruchstimmung in der Vereinigung Europas mit ihren Vor- und Nachteilen und
3. um die europäische Keramiktradition.

 

1. Wie Japan und die USA auf Europa ausstrahlen

Die größere Wertschätzung der Keramik in Japan und in den USA im Vergleich zu Europa hat dazu geführt, dass sich dort mehr kreative Kräfte der Keramik zuwenden und sie deshalb auch größere künstlerische und wirtschaftliche Erfolge verzeichnet. Die Ursachen der höheren Bewertung der Keramik könnten in Ost und West unterschiedlicher nicht sein. In Japan ist es der religiöse Grund, aus dem die Verehrung der Natur erwächst, in den USA ist es der Anschluss an die ökonomisch bedeutende Kunstszene, einer Ausdrucksform des Kapitalismus. In Europa sieht man diese beiden ganz verschiedenen Arten keramischer Kunst als alternative Möglichkeiten des eigenen Handelns an, so dass man von einem Europa zwischen Japan und den USA spricht. Das sind aber nur zugespitzte Vorstellungen, denn in Wirklichkeit gibt es alles überall.

Aber in der überspitzten Typisierung handelt es sich um zwei ganz verschiedene Arten von Kunst. Die eine ist auf die Mitwirkung der Natur und des Zufalls bedacht, die andere auf eine genaue Konkretisierung der Vorstellungen unter Vermeidung von Zufälligkeiten.

Bild 1: Teeschale “Hagoro” (Federkleid) mit Shino-Glasur, Kyoto, Momoyama Periode (1573-1615).
Bild 2:  Anne Kraus: „The Green Bridge Motel“ 2001. Aus der Garth Clark Galerie New York.
Bild 3:  “Die Brücke schreitet fort” von Nina Hole, 2002.

Eine solche Polarität der Keramik, die wir heute einerseits dem japanischen Kunsthandwerk, andererseits der amerikanischen Keramikkunst zuordnen, gibt es in der Keramik seitdem sie besteht. Es sind zwei Pole ein und derselben Sache, so dass sie als Gegensatzpaar voneinander abhängen und einander bedingen. Erstaunlicherweise ist dieses Prinzip der Polarität schon von den Pythagoräern und von Aristoteles als Struktur- und Entwicklungsprinzip der Welt, als „Urphänomen“, bezeichnet worden.


2. Das vereinigte Europa in einer globalen Welt

Der Keramiker in einem sich vereinenden Europa unterliegt der allgemeinen Aufbruchsstimmung. Die großen gesellschaftlichen Veränderungen bringen auch ein neues Bewusstsein hervor. Die geographische Weite wirkt stimulierend, als ob sie auch den geistigen Horizont erweitere. Diese Voraussetzung hat manche Ähnlichkeiten mit dem nordamerikanischen Kontinent. Der American Way of Life schreitet als Kettenreaktion in der Welt fort und nimmt an Intensität und Reichweite zu. Dabei fördert das Großklima, das auf eine gute transatlantische Partnerschaft abzielt, den amerikanischen Einfluss, der sich im American Way of Ceramics wiederspiegelt. Der Einfluss Japans gerät ins Hintertreffen. Die Naturverbundenheit verliert an Zugkraft gegenüber der persönlichen künstlerischen Entwicklung und dem Streben nach Erfolg.

Der Erfolg ist vom Geschmack des Publikums, vom Urteil einer Jury und von der Förderung durch eine einflussreiche Galerie abhängig. Der Publikumsgeschmack ist beeinflussbar durch die Medien. Maria Martinez ist erst zur berühmten amerikanischen Keramikerin geworden, nachdem sie vom Journalismus entdeckt worden war und aus Archäologie und Ethnologie in die Öffentlichkeit geholt wurde. Amerika war auf die indianische Kunst aufmerksam geworden, und die Galerien haben sie in ihr Geschäft aufgenommen.

Bild 4:  Schwarze Keramik von Maria Martinez, Pueblo San Ildefonso, Neu Mexiko 1930.

In Europa ist die Identifikation mit dem neuen europäischen Gemeinwesen aus der Geschichte begründet. Das Mittelmeer war die Wiege Europas.

Humanismus und Aufklärung waren identitätsstiftende Faktoren, ebenso die Förderung einer Kultur des Wissens und der Gelehrsamkeit. Die gemeinsame Religion stiftete Einheit und spaltete sie auch, wie es im 17. und 18.Jahrhundert die aus den katholischen Ländern geflohenen Fayenciers in Nordeuropa und die Habaner in Osteuropa bezeugen.

Bild 5:  Fayence-Barbierschale aus Durlach, 1760. Die Refugiérs gründeten 128 Fayencemanufakturen in Europa
Bild 6:  Habanerkeramik von 1696. Die Habaner (Wiedertäufer) gründeten Fayencewerkstätten in der Slowakei, in Ungarn und Rumänien.


3. Die europäische Keramik-Tradition

Europa hat, ähnlich wie Japan, eine tiefe keramische Tradition. Ihre Höhepunkte reichen in das 14. Jahrhundert zurück, als das salzglasierte Steinzeug aufkam. Nimmt man nur einige der Schwerpunkte, so folgte im 15. Jahrhundert die italienische Majolika, im 16. die Nürnberger Hafnerware,  im 17. das englische Steingut, im 18. das Hartporzellan.

Bild 7:  Salzglasierte Jacobakanne 14.Jh. Siegburg.
Bild 8:  Fayence-Tondo von Andrea della Robbia, Florenz 15.Jh.
Bild 9:  Hafnerware aus Nürnberg 16.Jh.
Bild 10:  Schon im 17.Jh. wurden in England weiße Tone aus Devonshire verwendet und so das europäische Steingut begonnen, das Wedgwood dann im 18. Jh. zum Erfolg führte. „Jaspis-Kanne“ mit weißen Reliefs auf blauem Grund, der typischen Wedgwood-Art.
Bild 11: Hartporzellanpokal mit Pate-sur-Pate (Pinselrelief-Technik) aus Meißen.

Im 19.Jahrhundert kam auf Initiative eines Pariser Wahrenhauses die sogenannte „Künstlerkeramik“ auf, an der Picasso, Miró, Léger und andere Künstler beteiligt waren, indem sie auf Keramik malten. Picasso hat allerdings auch die Formen beeinflusst, und Miró hat zusammen mit dem Töpfer Artigas ganz neue, zukunftweisende Formen geschaffen.

Bild 12:  Picasso-Keramik von 1947.
Bild 13: Keramik von Miró und Artigas.

Die Künstlerkeramik entsprach der allgemeinen Auffassung, dass nur eine bemalte Keramik Kunst sei. Das zeigte sich schon bei den altgriechischen Vasen

Bild 14: Hydria, bemalt von Eurystheus, 520 v.Chr.

und beim chinesischen Importporzellan, das seit dem 17.Jahrhundert wegen seiner bunten Schmelzfarbenmalerei in Europa begehrt war,

Bild 15: Chinesische Deckelvase, in den Farben der Famille rose bemalt.

und auch bei der späteren Fayence und dem Hartporzellan.

Bild 16:  Delfter Butterdose, 18.Jh.
Bild 17:  Meißner Vase mit Chinoiserien von Johann Gregor Höroldt, 1726.

Um die Schönheit des chinesischen Steinzeugs der Sungzeit zu entdecken, bedufte es eines Quantensprungs der Kunsterkenntnis von der Bewunderung zur Verehrung,

Bild 18: Porzellanschale aus der Zeit der Sung-Dynastie, 13.Jh.

und das gleiche gilt für die japanische Keramik, deren eigenartige Schönheit den Europäern erst durch die Ausstellung japanischer Keramik 1867 auf der Weltausstellung in Paris bewusst wurde. 1912 wurde Bernard Leach Kenzan VII. ,

Bild 19: Bernard Leach, 1931.

und er vertrat diese Position  des anspruchsvollen traditionellen Handwerks 1952 in der historischen Begegnung mit Peter Voulkos in Kalifornien, wo es darum ging, welchen Weg die Keramik in Zukunft nehmen sollte. Peter Voulkos kam aus den akademischen Künstlerkreisen der Westküste, und die Arbeiten dieser Keramiker wurden als abstrakter Expressionismus gelobt. Von da folgten sie der modernen Kunst, die nichts von Tradition wissen wollte.

Bild 20: Peter Voulkos: Kreative Zerstörung der überkommenen Werte.

Von Kalifornien verbreitete sie sich über die ganze Welt. Von allem Wissen über die Natur und vom Ernst und der Tiefe der Arbeit befreit, breitet sich in ihrem Fahrwasser Dilettantismus aus, indem die Phantasie unmittelbar in Technik umgesetzt werden soll – in tätiger Unwissenheit. Dieser Dilettantismus, von Handwerkern und Künstler kritisch beäugt, ist jedoch subjektiv und individuell wertvoll, weil er für den Einzelnen zur Steigerung der Lebenserfahrung beiträgt, in der die Bedeutung des Lebens enthalten ist. Im Raku, der „Freude an der Muße“, hat sich das Erlebnis der Natur bewahrt.

Bild 21: Raku von Wayne Higby, 2003.

 

Die Vereinigung Europas ist eine Verwirklichung von Demokratie und Freiheit. Es ist die Freiheit, die es jedem Keramiker, gleichgültig, ob er von der Gesellschaft als Künstler gesehen wird oder nicht, überlässt, seiner Selbstverwirklichung zu folgen oder die dienende Funktion zu wählen, die er bis dahin nicht als Unfreiheit angesehen hat. Wie auch immer er sich entscheidet, gerät er in den Zwiespalt, einerseits die in ihrem Wesen ästhetikfeindliche Konsumgesellschaft abzulehnen, andererseits von ihr abhängig zu sein.

 

 

 


 
29.03.2024 - 06:27